Suche nach Medikamenten, Symptomen, PZNs

Suche nach Medikamenten, Symptomen, PZNs

Alkoholabhängigkeit

Alkoholabhängigkeit (Alkoholismus, Alkoholsucht): Neben Nikotin eine der häufigsten Abhängigkeitserkrankungen, etwa 4 % der deutschen Bevölkerung sind alkoholkrank, 70 % davon sind Männer.

Ein Alkoholmissbrauch liegt vor, wenn der Alkoholkonsum zu psychischen und körperlichen Schäden geführt hat. Eine Alkoholabhängigkeit besteht, wenn mindestens drei der folgenden sechs Kriterien erfüllt sind:

  • Craving (zwanghaftes Verlangen nach Alkohol)
  • Verminderte Kontrolle über den Alkoholkonsum
  • Anhaltender Konsum trotz negativer Auswirkungen auf Psyche, Körper oder Sozialleben
  • Vernachlässigung von Hobby, Interessen und sozialen Kontakten zugunsten des Alkohols
  • Körperliche Toleranzentwicklung gegenüber dem Alkohol
  • Entzugserscheinungen bei Alkoholverzicht.

Übermäßiger Alkoholkonsum verursacht schwere und bleibende Abhängigkeit sowie psychische und körperliche Folgeerkrankungen. Die Alkoholabhängigkeit verläuft nicht selten tödlich, 16 000 Tote sind in Deutschland jährlich zu beklagen (bei enormer Dunkelziffer), wobei die Leberzirrhose mit 9 500 Todesfällen die häufigste einzelne alkoholbedingte Todesursache ist.

Wegen des lebenslang bestehenden hohen Abhängigkeitspotenzials von Alkohol wird der langfristige und ausnahmslose Verzicht auf alkoholische Getränke und Speisen (und auch Medikamente!) propagiert. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht der Betroffene langfristige Unterstützung durch Selbsthilfegruppen und Psychotherapien. Trotzdem sind die Rückfallraten nach Entwöhnung hoch.

Leitbeschwerden

Psychische Beschwerden:

  • Kontrollverlust in Bezug auf Beginn, Beendigung und Menge des Alkoholkonsums
  • Reizbarkeit, Unruhe, Ängste
  • Halluzinationen (gelegentlich)
  • Gedanken kreisen ständig um Alkohol
  • Alkohol zum Frühstück („Morgentrunk“)
  • Alkoholvorräte sind immer in greifbarer Nähe
  • Interessenverlust und Vernachlässigung von Sozialkontakten.

Körperliche Beschwerden:

  • Morgendliches (Hände-)Zittern, Schwitzen
  • Fahruntüchtigkeit, Unkonzentriertheit
  • Unfähigkeit, Aufgaben, die ein hohes Koordinationsvermögen erfordern, zu erledigen oder krankhafte Vermeidung solcher Aktivitäten
  • Entzugserscheinungen bei Absetzen des Alkohols wie Magen-Darm-Störungen und Kreislaufstörungen, Schlafstörungen, Schwitzen, Zittern, Artikulationsstörungen
  • Wadenkrämpfe
  • Übelkeit, Appetitlosigkeit.

Die Erkrankung

Zahlreiche Faktoren spielen bei der Entstehung einer Alkoholabhängigkeit eine Rolle:

Vererbung. Die erbliche Veranlagung zum Trinken ist wissenschaftlich belegt: Nahe Verwandte von Alkoholikern haben ein vierfach erhöhtes Risiko, an Alkoholabhängigkeit zu erkranken.

Familiäre Faktoren. Oft stammen Alkoholiker aus Familien, in denen mindestens ein Mitglied Alkoholprobleme hatte oder hat, zudem finden sich häufig negative Vorbildfunktionen im Elternhaus oder in zerrütteten Familien.

Soziale Faktoren. Arbeitslose haben doppelt so häufig Alkoholprobleme wie Menschen mit Beschäftigung. Zwar ist manchmal der Arbeitsplatzverlust Folge des Alkoholmissbrauchs, doch entwickeln viele Arbeitslose (aus Frustration über ihre Lage) erst nach dem Arbeitsplatzverlust eine Alkoholabhängigkeit.

Gesellschaftliche Akzeptanz. In einem gesellschaftlichen Umfeld, in dem Alkohol als Genussmittel akzeptiert und leicht verfügbar ist, entwickeln mehr Menschen eine Alkoholabhängigkeit als in Ländern oder Kreisen, in denen Alkoholgenuss (z. B. aus religiösen Gründen) nicht üblich oder strikt auf wenige Anlässe beschränkt ist.

Je nach Patient und dessen persönlichen Bedingungen hat Alkoholabhängigkeit ein unterschiedliches Erscheinungsbild.

  • Alpha-Trinker („Konflikt- und Erleichterungstrinker“): psychisch abhängig, ist fähig zur Abstinenz, kein Kontrollverlust
  • Beta-Trinker („Gelegenheitstrinker“): ist weder körperlich noch psychisch abhängig, kein Kontrollverlust, abstinenzfähig
  • Gamma-Trinker („Süchtiger Trinker“): ist zuerst psychisch, dann physisch abhängig, Kontrollverlust, zeitweilig Fähigkeit zur Abstinenz
  • Delta-Trinker („Gewohnheits- oder Spiegeltrinker“): ist physisch abhängig, nicht abstinenzfähig
  • Epsilon-Trinker („Quartalssäufer“, "Quartalstrinker"): ist psychisch abhängig, mehrtägige Exzesse mit Kontrollverlust.

Die Entwicklung der Alkoholabhängigkeit verläuft in mehreren Phasen: Zu Beginn werden Probleme und Stress durch Alkoholkonsum erträglicher, die Alkoholverträglichkeit steigt. Wenn sich das Trinkverhalten ändert, also heimlich und alleine getrunken wird und die Gedanken vornehmlich um den Alkohol kreisen, ist die nächste Stufe zur Alkoholabhängigkeit erreicht. Die kritische Phase schließlich ist geprägt durch Kontrollverlust, körperliche Folgen wie Händezittern werden sichtbar. Die chronische Phase ist erreicht, wenn bereits am Morgen regelmäßig getrunken wird und Versuche, alkoholfreie Tage einzulegen, scheitern. Die körperlichen Folgekrankheiten durch die Leberschädigung schwächen den Betroffenen. Schließlich ist der Abhängige nicht mehr in der Lage, einen Beruf auszuüben und in einer Familie Verantwortung zu tragen. Sozialer Abstieg, Scheidung oder Einsamkeit sind meistens die Folgen.

Alkoholabhängigkeit entsteht nicht plötzlich, sondern in einem jahrelangen, schleichenden Prozess.

Alkoholabhängigkeit entsteht nicht plötzlich, sondern in einem jahrelangen, schleichenden Prozess.

Chronischer Alkoholmissbrauch führt zu schwerwiegenden Schäden der Organe:

Leber, Bauchspeicheldrüse, aber auch die Speiseröhre, das Zentrale Nervensystem sowie das Kreislaufsystem sind besonders betroffen. Auch leiden Alkoholkranke besonders an Angsterkrankungen und unter Depressionen. Zudem wird das Gehirn unflexibel: Alkoholabhängige Menschen lernen neue Zusammenhänge zwar genauso gut wie gesunde Menschen, haben aber Probleme damit, dieses Wissen auf andere, bislang unbekannte Situationen zu übertragen. Deswegen fällt es alkoholabhängigen Menschen oft schwer, ihre Erkenntnisse aus der Psychotherapie auf den Alltag zu übertragen und ihr Verhalten dauerhaft zu ändern, obwohl sie um die negativen Auswirkungen ihres Suchtverhaltens wissen.

Selbstmordgefahr! Alkoholkranke sind – insbesondere bei einem gerade zusammengebrochenen sozialen Umfeld – in hohem Maße selbstmordgefährdet. 10 % aller Alkoholabhängigen begehen Selbstmordversuche, 2 % kommen durch Selbstmord um.

Das macht der Arzt oder Therapeut

Alkoholabhängigkeit bleibt häufig unerkannt, was natürlich auch an der Tendenz der Patienten liegt, die Sucht zu bagatellisieren. Bei Beschwerden wie Nervosität, Unruhezuständen, Stimmungsschwankungen, Konzentrations- und Schlafstörungen sollte der Arzt Alkoholabhängigkeit in Betracht ziehen. Ansonsten stützt sich die Diagnose auf Trinkverhalten (Menge, Frequenz), Abhängigkeit und alkoholbedingte Körperschäden wie z. B. eine vergrößerte Leber oder eine Leberzirrhose.

Kontakt- und Motivierungsphase. Im Vordergrund steht die Kontaktaufnahme und Motivation des Patienten, z. B. durch Beratungsstellen, Ärzte, Familie, Freunde sowie durch die Frühdiagnostik. Je früher der Alkoholkranke versucht, sein Alkoholproblem in den Griff zu bekommen (und als ernsthaftes Problem anzuerkennen), umso besser sind die Aussichten, „trocken“ zu bleiben. Viele der entstandenen körperlichen Schädigungen wie etwa die alkoholische Fettleber bilden sich zurück, wenn abstinent gelebt wird.

Entzug und Entgiftung

Die beim Entzug und der Entgiftung auftretende schwere Entzugssymptomatik wird medikamentös behandelt. Das Entzugssyndrom beginnt meist 4–12 Stunden nach dem letzten Trinken, erreicht seine stärkste Ausprägung am zweiten Tag der Abstinenz und verschwindet nach weiteren 4–5 Tagen. Die vielfältigen Beschwerden des Betroffenen werden von Ärzten in drei Gruppen zusammengefasst:

  • Die internistischen Symptome des Entzugssyndroms mit schwerem Unwohlsein, Appetitmangel, Magenschmerzen, Durchfall, Pulsjagen, Blutdruckerhöhung, Unterzuckerung, Mundtrockenheit, Schwitzen und Juckreiz
  • Die neurologischen Symptome mit Händezittern, Sprachstörungen, Muskel- und Kopfschmerzen, Empfindungs-, Gang- und Sehstörungen, gelegentlich sogar Krampfanfällen
  • Die psychischen Symptome mit Angst, Reizbarkeit, innerer Unruhe, Schlaflosigkeit, depressiven Verstimmungen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Halluzinationen, die Gedanken kreisen oft um die Beschaffung neuen Alkohols.

Manchmal sind die Symptome so schwer, dass der Betroffene keinen klaren Gedanken mehr fassen kann, gewalttätig zu sich und anderen wird. Der Arzt spricht hier vom Delir, ein lebensbedrohlicher Verwirrtheitszustand, der eine Soforteinweisung in eine Klinik notwendig macht, denn unbehandelt kann es tödlich sein (Mehr zum Delir).

Der meist stationär durchgeführte körperliche Entzug dauert 1–2 Wochen. Da etwa 75 % der Patienten innerhalb von 3 Monaten nach der Entgiftung rückfällig werden, setzt sich zunehmend das Konzept der „qualifizierten motivierenden Entzugsbehandlung (QMET)“ durch, die neben der passiven Entgiftung auch psychotherapeutische Elemente enthält, vor allem „Motivationsarbeit“.

Entwöhnung

Normal ist eine etwa halbjährige Entwöhnung in Fachkliniken. Die Entwöhnung wird aber auch teilstationär oder ambulant durchgeführt. Neben psychotherapeutischen Verfahren kann auch hier medikamentös unterstützt werden.

Die klassische Entgiftung erfolgt zunächst mittels Clomethiazol, Carbamazepin oder Benzodiazepinen. Bei starker Entzugssymptomatik kann zusätzlich Haloperidol verordnet werden.

Nach der Entgiftung wird die Medikation auf sogenannte Alkoholaversiva umgestellt. Sie sollen das Verlangen nach Alkohol drosseln. Klassische Wirkstoffe sind Naltrexon, Acamprosat, Disulfiram und Calciumcarbid.

Seit kurzen ist das Alkoholentwöhnungsmittel Nalmefen (Selincro) auf dem Markt. Es kann auf Antrag 3 Monate von den Krankenkassen erstattet werden (in Ausnahmefällen auch 6 Monate). Es soll das unbeherrschbare Verlangen nach Alkohol (Craving) und die Häufigkeit des „Über den Durst-Trinkens“ reduzieren. Der Nutzen ist in Anbetracht häufiger Nebenwirkungen derzeit umstritten.

Nachsorge und Rehabilitation. Angestrebt wird eine langfristige Stabilisierung und der Aufbau einer beruflichen und sozialen Existenz. Hilfreich sind dabei z. B. die ambulante Betreuung durch Beratungsstellen und Selbsthilfeorganisationen oder auch Psychotherapie.

Psychotherapie. Psychotherapeutische Techniken finden sich in allen Behandlungsphasen, von anfänglicher „Motivationsarbeit“ über die stationäre Psychotherapie in der Entwöhnungsphase bis hin zur ambulanten psychotherapeutischen Weiterbehandlung. In der Entwöhnungsphase kommen in Einzel- und Gruppentherapien vor allem verhaltenstherapeutische Behandlungstechniken und Trainingsprogramme zum Einsatz. Häufig geht es dabei um das Erarbeiten von Strategien, mit deren Hilfe sich der Patient in Versuchungssituationen vor dem drohenden Rückfall schützen kann, z. B. durch das Erlernen von Selbstkontrolle, Problembewältigungsstrategien und Selbstsicherheitstrainings. Ergänzend werden Paargespräche oder Familientherapien angeboten.

Bereitschaft zum Beginn einer Therapie derAlkoholabhängigkeit besteht bei den meisten Betroffenen leider erst, wenn das Leben fast nur noch aus Problemen und durchlebten kleineren und mittleren Katastrophen besteht. Entsprechend lang ist dann der Weg bis zur Rehabilitation. Bewährt hat sich der hier gezeigte Behandlungsablauf.

Bereitschaft zum Beginn einer Therapie derAlkoholabhängigkeit besteht bei den meisten Betroffenen leider erst, wenn das Leben fast nur noch aus Problemen und durchlebten kleineren und mittleren Katastrophen besteht. Entsprechend lang ist dann der Weg bis zur Rehabilitation. Bewährt hat sich der hier gezeigte Behandlungsablauf.

Prognose

Bei Langzeitabhängigen, die womöglich schon mehrere Entzugsbehandlungen hinter sich haben, beträgt die Rückfallquote bis zu 80 %, insbesondere dann, wenn sich an die Entgiftung keine weiterführende Therapie anschließt.

Selbsthilfe

Eine der wohl bekanntesten und ältesten Selbsthilfegruppen sind die Anonymen Alkoholiker, die 1936 in den USA gegründet wurden und heute auch in Deutschland in jeder großen Stadt vertreten sind. Die Anonymen Alkoholiker gehen davon aus, dass der „Trinker“ lebenslang süchtig und durch Alkohol gefährdet bleibt. Zudem wird postuliert, dass Alkohol stärker als die Willensanstrengung ist, man alleine davon schwer loskommt und nur Alkoholiker anderen Alkoholikern helfen können. Es werden nur Trinker, keine gesunden „Helfer“ aufgenommen. Zum Konzept gehört weiterhin das Prinzip der kleinen Schritte mithilfe eines 12-Stufen-Programms, um die Betroffenen nicht zu überfordern.

Auch kirchliche Träger und Gesundheitsämter bieten unterstützende Gruppen und Krisentelefone an sowie Vereine wie die Guttempler oder das Blaue Kreuz.

Weiterführende Informationen

  • www.anonyme-alkoholiker.de – Offizielle Website der Anonymen Alkoholiker e. V. (Deutschland, Österreich, Schweiz, Südtirol): Bietet Adressen, Informationen über die Gruppenarbeit und Angebote für Angehörige.
  • www.blaues-kreuz.de – Website des Blauen Kreuzes e. V. für Suchtkranke, Wuppertal: Informiert über Sucht, deren Prävention sowie Therapie- und Beratungsmöglichkeiten.
  • www.sucht.org – Website des Gesamtverbands für Suchtkrankenhilfe e. V., Berlin: Selbsthilfe- und Informationsangebote im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche Deutschlands.
  • www.al-anon.de – Website der Al-Anon Familiengruppen, Essen: Vermittelt Selbsthilfegruppen und Infomationen für Angehörige und Freunde von Alkoholkranken. Al-Anon ist die einzig weltweite Selbsthilfegemeinschaft für Familien und Freunde von Alkoholikern, sie besteht in Deutschland seit 30 Jahren.
  • R. Merkle: Ich höre auf, ehrlich! Ein praktischer Ratgeber für Betroffene und Angehörige. Pal-Verlag, 2006. Schwerpunkt des Ratgebers ist die Vermeidung von Rückfällen und die Veränderung von [Trink-]Gewohnheiten.
  • W. Feuerlein; F. Dittmar: Wenn Alkohol zum Problem wird. Hilfreiche Informationen für Angehörige und Betroffene. Trias, 1999. Informationen werden im Frage-Antwort-Stil vermittelt; die Autoren haben selbst jahrelang Alkoholkranke betreut.

10.10.2019 | Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualsierung von Dr. med. Sonja Kempinski